Wer in der Mitte unserer Reise noch hinzukommen möchte, kann hier die letzten Abschnitte nachlesen oder direkt hier einsteigen:
Ich füge in jeder Woche einen Textabschnitt aus der deutschsprachigen Erstübersetzung (Link zum Projekt Gutenberg) in die eMail ein, sodass alle interessierten Mitreisenden den Text für die jeweilige Woche direkt in ihrem Posteingang haben. Wer eine andere Ausgabe (oder Sprache) liest, kann über diesen kursiv gesetzten Abschnitt hinwegscrollen, alle anderen beginnen ihren Etappenabschnitt hier:
Sechsundzwanzigstes Capitel.
Verirrt.
Offen gestanden, die Dinge standen bisher gut, und ich durfte mich nicht beklagen. Wenn die Schwierigkeiten nicht »im Durchschnitt« zunahmen, so konnte es nicht fehlen, daß wir unser Ziel erreichten. Und welcher Ruhm dann! Ich war so weit gekommen, daß ich à la Lidenbrock urtheilte. Ernstlich. Gehörte das mit zu der seltsamen Umgebung, worin ich lebte? Vielleicht.
Während einiger Tage führte uns ein vermehrt abschüssiger Weg, der mitunter selbst erschrecklich senkrecht war, tief in's Innere des Erdkerns. An manchen Tagen kam man eine und eine halbe bis zwei Meilen dem Centrum näher. Das Hinabsteigen war gefährlich, aber die Geschicklichkeit unseres Hans und seine merkwürdige Kaltblütigkeit kamen uns dabei sehr zu statten. Dieser Isländer von unverwüstlichem Gleichmuth opferte sich ohne Umstände auf, und wir hatten es ihm zu danken, daß wir über manchen schlimmen Fall hinaus kamen, was uns allein nicht möglich gewesen wäre.
Während der beiden Wochen nach unserer letzten Unterhaltung fiel nichts besonders Merkwürdiges vor. Nur ein einziges Ereigniß von ernstester Bedeutung ist mir unvergeßlich, und aus gutem Grund. Nicht den kleinsten Umstand dabei hätte ich aus dem Sinn verlieren können.
Am 7. August waren wir allmälig bis zu einer Tiefe von dreißig Meilen gelangt, das heißt über unserem Kopf waren dreißig Meilen an Felsen, Ocean, Festland und Städten. Wir mußten damals zweihundert Meilen von Island entfernt sein.
Diesen Tag zeigte sich im Tunnel sehr wenig Fall.
Ich ging voran. Mein Oheim trug einen der beiden Rühmkorff'schen Apparate, ich den andern. Ich betrachtete die Granitschichten.
Auf einmal, als ich mich umsah, fand ich mich allein.
»Gut, dachte ich, ich bin zu rasch gegangen, oder Hans und mein Oheim sind stehen geblieben. So muß ich sie aufsuchen. Zum Glück geht der Weg nicht merklich aufwärts.«
Ich ging also meinen Weg zurück, eine Viertelstunde lang. Ich sah um mich. Kein Mensch. Ich rief. Keine Antwort. Meine Stimme verhallte unter einer Menge Echo's, welche sie plötzlich wach rief.
Jetzt ward ich unruhig; es überlief mich ein Schauder am ganzen Körper.
»Nur ruhig, sagte ich laut. Sicherlich werde ich meine Gefährten wieder finden. Es giebt ja nur einen Weg! Da ich voran war, muß ich wieder rückwärts.«
Eine halbe Stunde lang ging ich in dieser Richtung. Ich horchte, ob man mir nicht zuriefe, und in dieser dichten Atmosphäre konnte ich schon von weitem her es hören. Todesstille herrschte in dem unermeßlichen Gang.
Ich blieb stehen. Ich konnte nicht glauben, daß ich mich ganz allein befand. Verirrt wollte ich wohl sein, nicht verloren. Verirrt, da findet man sich wieder.
Ich sagte mir wiederholt: »Da es nur einen Weg giebt und da sie diesen gehen, so muß ich wieder zu ihnen kommen. Ich brauche nur ferner rückwärts zu gehen, es sei denn, daß sie, als sie mich nicht sahen und nicht daran dachten, daß ich vorausging, auf den Gedanken kamen, zurück zu gehen. Nun, selbst in diesem Fall, wenn ich eile, werd' ich sie wieder finden. Das ist klar!«
Ich wiederholte mir diese letzten Worte, wie ein Mensch, der nicht überzeugt ist. Uebrigens brauchte ich lange Zeit, um diese so einfachen Gedanken zu verbinden und in Form eines Urtheils zu bringen.
Nun kam mir ein Zweifel. War ich wirklich voran? Gewiß, Hans folgte mir nach hinter meinem Oheim her. Er war sogar einige Augenblicke stehen geblieben, um sein Gepäck auf seiner Schulter wieder zu befestigen. An alles dies erinnerte ich mich. Ich hätte in dem Augenblick weiter gehen müssen.
»Uebrigens, dacht' ich, hab' ich ja ein sicheres Mittel, mich nicht zu verirren, meinen treuen Bach, der mich in dem Labyrinth leiten kann. Ich brauche nur an ihm aufwärts zurück zu gehen, so muß ich nothwendig meinen Gefährten auf die Spur kommen.«
Diese Gedanken gaben mir wieder Muth, und ich beschloß, ohne einen Augenblick Zeitverlust mich auf den Weg zu machen.
Wie pries ich da meines Oheims Vorsicht, als er den Jäger hinderte, das für die Quelle in die Wand gehauene Loch wieder zuzumachen. Also sollte die heilsame Quelle, nachdem sie uns unterwegs erquickt, mich durch die Irrgänge der Erdrinde hindurch führen.
Bevor ich mich aufmachte, wollte ich mich etwas abwaschen.
Ich bückte mich, um im Hansbach mein Angesicht zu netzen.
Man denke sich meine Bestürzung! Ich griff nur auf dürren und rauhen Granit! Der Bach floß nicht mehr zu meinen Füßen.
Der erste Satz! Erinnert ihr euch auch noch, dass wir vor wenigen Kapiteln beinahe verdurstet sind? Ich mag diesen Humor bei Verne wirklich sehr. Je tiefer und länger wir unter dee Erde sind, desto mehr verwandeln wir uns in den (wahnsinnigen) Professor.
Hans verdanken die beiden Hamburger das Weiterkommen. Er ist weiterhin geschickt, gleichmütig und inerschrocken, aber wirklich warm werde ich mit dieser Figurenzeichnung vermutlich nicht mehr.
Mit diesem Kapitel haben wir einen zweiwöchigen Zeitsprung gemacht, ich hatte ehrlich gesagt schon drauf gewartet. Immerhin müssen wir unter der Erde noch weit kommen. Obwohl das Wasserproblem mittlerweile gelöst ist, frage ich mich aber, ob es nicht bald ein Proviantproblem geben wird?
Viel schlimmer und eine wirkliche Urangst ist aber in diesem Kapitel das Erlebnis von Hans: Plötzlich vollkommen allein (und ohne Hansbach) zu sein: “Verirrt wollte ich wohl sein, nicht verloren. Verirrt, da findet man sich wieder.”
ich hätte fast vorgeblättert, weil Hans mir so leid tat. Ich beherrsche mich aber und teile mit euch diesen Eingang zu einer verlassenen Mine in den Westfjorden. Ich hatte zwar einige kaltmütige Isländer bei mir, habe mich aber dennoch nicht in die Tiefe der Erde getraut:
Dieser Newsletter ist eine Herzensangelegenheit und wird deswegen für die gesamte Dauer des gemeinsamen Reisens selbstverständlich umsonst bleiben, damit wirklich alle Interessierten dabei sein können. Hier kann man mir jedoch eine Stirnlampe spendieren.
Jetzt hast du zweimal Hans statt Axel geschrieben.
Letzte Woche ist mir aufgefallen, was mir eigentlich vor zweien hätte klar werden sollen, aber da ich nicht davon ausgehe, dass ihr gleichmüthigen Gefährt*innen nach nachträglichen Kommentaren sucht, schreibe ich es diese Woche hin:
*Natürlich* ist der vergleichsweise mühelose Abstieg auch dem Anspruch geschuldet, in modernem Denken (wenn vielleicht auch nicht Wissenschaft) basierte Science Fiction zu schreiben. Dass es im Vulkanschlot keine höllische Hitze gibt, auch kein Reich der Toten und der Monstren, ja dass letztere Tropen nicht einmal aufgerufen werden, ist ein Abarbeiten an älteren Mythen und abergläubischen Ängsten. Hier auf Spannung und Drama zu verzichten dürfte für Verne diesen Mehrwert haben: Er darf die Schrecken der Unterwelt evozieren, aber erst später, wenn man an dem Punkt vorbei ist, wo die Überlieferung sie erwartet.