Wer in der Mitte unserer Reise noch hinzukommen möchte, kann hier die letzten Abschnitte nachlesen oder direkt hier einsteigen:
Ich füge in jeder Woche einen Textabschnitt aus der deutschsprachigen Erstübersetzung (Link zum Projekt Gutenberg) in die eMail ein, sodass alle interessierten Mitreisenden den Text für die jeweilige Woche direkt in ihrem Posteingang haben. Wer eine andere Ausgabe (oder Sprache) liest, kann über diesen kursiv gesetzten Abschnitt hinwegscrollen, alle anderen beginnen ihren Etappenabschnitt hier:
Zweiundzwanzigstes Capitel.
Noth.
Wir gingen also durch die neue Galerie wieder abwärts, Hans, wie gewöhnlich, voran. Wir waren noch keine hundert Schritte weit, als der Professor, die Lampe an der Wand, ausrief:
»Hier ist Urgebirg! Wir sind auf dem rechten Weg! Vorwärts! Vorwärts!«
Als in der ersten Epoche der Welt die Erde allmälig erkaltete, veranlaßte die Verringerung des Umfangs in ihrer Rinde Verschiebungen, Risse, Klüfte und Spalten. Der eben betretene Gang war ein Spalt dieser Art, durch welchen ehemals der ausgeworfene Granit seinen Weg fand. Seine unzähligen Wendungen bildeten ein verworrenes Labyrinth im ursprünglichen Boden.
Im Verhältniß, wie wir abwärts kamen, zeigten sich klarer die aufeinanderfolgenden Schichten, woraus das Urgestein besteht. Die Geologie sieht dieses als die Unterlage der mineralischen Rinde an, und hat erkannt, daß es aus drei verschiedenen Schichten besteht, dem Schiefer, Gneis und Glimmerschiefer, welche auf dem unerschütterlich festen Granit lagern.
Nun befanden sich nie Mineralogen in einer so merkwürdig günstigen Lage, um die Natur an Ort und Stelle zu studiren. Was die Sonde, die rohe Maschine ohne Intelligenz über das innere Gefüge nicht zu Tage fördern konnte, waren wir im Begriff mit eigenen Augen zu sehen, mit Händen zu greifen.
Quer durch die Lage des Schiefergesteins in schönen grünen Schattirungen zogen Erzgänge, Kupfer, Braunstein und etliche Spuren von Platina und Gold. Ich dachte mir, wie die Habgier der Menschen von diesen so tief vergrabenen Schätzen nie einen Genuß haben wird. Sie sind bei dem Durcheinanderrütteln jener Urzeit so tief versenkt worden, daß sie von Schaufel und Hacke nicht zu erreichen sind.
An die Schiefer reiheten sich die Gneis, von geschichtetem Bau, merkwürdig durch regelmäßig parallele Blätter, sodann die Glimmerschiefer in großen Stücken, welche durch das Funkeln des weißen Glimmers in die Augen sprangen.
Das Licht der Apparate, von den kleinen Facetten der Felsenmasse zurückgeworfen, kreuzte seine Feuerstrahlen unter allen Winkeln, so daß man denken konnte, man reise durch einen hohlen Diamanten, worin tausendfach blendend die Strahlen sich brachen.
Gegen sechs Uhr fing dieser Glanz an merklich schwächer zu werden, fast zu verschwinden; die Wände nahmen eine krystallisirte, aber düstere Färbung; der Glimmer mischte sich inniger mit dem Feldspath und Quarz, um das allerhärteste Gestein zu bilden, welches, ohne zerdrückt zu werden, die vier Stockwerke des Erdreichs trägt. Wir befanden uns mitten im Granit.
Es war Abends acht Uhr. Immer noch kein Wasser. Ich litt fürchterlich. Mein Oheim schritt immer voran, wollte nicht stehen bleiben. Er lauschte mit dem Ohre das Murmeln einer Quelle zu erhaschen. Vergebens!
Inzwischen versagten mir meine Beine den Dienst. Ich widerstand meinen Qualen, um nicht meinen Oheim zum Stillestehen zu nöthigen, Es wäre für ihn ein Verzweiflungsschlag gewesen, denn der Tag lief zu Ende, der letzte, welcher ihm gehörte.
Endlich gingen mir die Kräfte aus. Ich fiel nieder mit einem Schrei: »Hilfe! ich sterbe!«
Mein Oheim kam augenblicklich herbei. Er sah mich an mit gekreuzten Armen; dann murmelte er dumpf: »Es ist Alles aus!«
Eine fürchterlich zornige Bewegung war das letzte, was ich sah, als ich die Augen schloß.
Beim Wiederaufschlagen derselben gewahrte ich meine Gefährten unbeweglich in ihre Decken gewickelt. Schliefen sie? Ich meines Theils konnte nicht einen Augenblick in Schlaf kommen. Ich litt allzu sehr, zumal bei dem Gedanken, daß nicht zu helfen sein solle. Meines Oheims letzte Worte, »Alles ist aus!« hallten in meinem Ohre wieder, denn bei dem hohen Grade meiner Schwäche war kein Gedanke, wieder auf die Erdoberfläche zu kommen.
Wir befanden uns anderthalb Meilen in der Tiefe!
Es war mir, als laste diese ganze Masse auf meinen Schultern. Ich fühlte mich wie zerschmettert und strengte mich vergebens an, mich auf meinem Granitlager umzudrehen.
So verflossen einige Stunden. Tiefe Stille herrschte um uns, Grabesstille. Kein Laut drang durch diese zum Mindesten fünf Meilen dicken Mauern.
Inzwischen glaubte ich mitten in meinem Schlummer ein Geräusch zu vernehmen. Es war dunkel im Tunnel. Als ich recht achtsam blickte, schien mir's, als sähe ich den Isländer mit der Lampe in der Hand verschwinden.
Weshalb entfernt er sich? Will Hans uns verlassen? Mein Oheim schlief. Ich wollte schreien; die Stimme versagte mir zwischen den ausgetrockneten Lippen. Es war völlig dunkel geworden, und das letzte Geräusch war verstummt.
»Hans verläßt uns! schrie ich. Hans! Hans!«
So rief ich, jedoch nur im stillen Innern. Inzwischen, nach der ersten Anwandlung des Schreckens, schämte ich mich wieder meines Verdachts gegen den braven Menschen. Unmöglich wollte er fliehen. Er ging die Galerie abwärts, nicht nach oben, wohin üble Absicht ihn gezogen hätte. Dabei beruhigte ich mich ein wenig, und ich kam auf andere Gedanken. Hans, dieser friedliche Mann, mußte einen wichtigen Beweggrund haben, der ihn vom Lager trieb. Ging er, um eine Quelle zu finden? Hatte er in der Stille der Nacht ein Murmeln gehört, das nicht bis zu meinem Ohr gedrungen war?
Ich war im Deutschlandfunk in der Sendung Zwischentöne zu Gast und habe dort auch über Jules Verne gesprochen. Man kann die Sendung hier hören. Alle neuen Mitreisenden, die nach der Sendung hinzugekommen sind, heiße ich hiermit herzlich willkommen!
Wir starten mit einer Reihe geologischer Überlegungen. Jules Verne schreibt, dass die Reisenden ins Erdinnere nun viel bessere Chancen zur Beobachtung der geologischen Bedingungen haben als es der “rohen Maschine” mit Bohrproben möglich ist: “Nun befanden sich nie Mineralogen in einer so merkwürdig günstigen Lage, um die Natur an Ort und Stelle zu studiren.” Das ist natürlich auf einer Metaebene ein großartiges Plädoyer für das Erzählen naturwissenschaftlicher Zusammenhänge, man kommt dem Erdinneren in einer Geschichte vielleicht näher als mit dem Bohrer.
Wir bekommen in diesem Kapitel auch wieder mehrere der poetischen Aufzählungen, die mir in diesem Buch so ausgesprochen gut gefallen: “Quer durch die Lage des Schiefergesteins in schönen grünen Schattirungen zogen Erzgänge, Kupfer, Braunstein und etliche Spuren von Platina und Gold.” Das poetische Potenzial dieser Fachbegriffe erschließt sich überhaupt erst in dieser literarischen Aneinanderreihung und poetischen Beschreibung naturwissenschaftlicher Phänomene.
Mir gefällt die Umsetzung dieser Passagen in der Illustration von Édouard Riou für die französische Ausgabe von 1864 sehr – ich stelle mir jetzt das Funkeln und Glitzern des Erdinneren wie eine Art futuristisches Spiegelkabinett vor:
Erzählerisch spiegelt dieses Kapitel das Letzte, immer noch sind alle durstig, Axel leidet expressiv und selbst der Professor scheint nun – im Gegensatz zum vorherigen Kapitel – aufzugeben. Das funktioniert meiner Meinung nach aber ganz gut, denn die Not der Reisenden trägt erzählerisch definitiv über mehr als ein Kapitel. Oder findet ihr das Thema “Durst” inzwischen langweilig? Hans ist auf jeden Fall der einzige, der weder schläft noch aufgibt, sondern weiter in die Tiefe hinabsteigt, um das rettende Wasser zu finden. Schweigender Sympathieträger oder absichtlich fabrlos gezeichneter Isländer, zumindest ist Hans jetzt die letzte Hoffnung unserer verdurstenden Reisegruppe.
Interessant mit Blick auf Hans ist auch dieser Illustrationsaasschnitt zum vergangenen Kapitel 21 (ebenfalls von Édouard Riou aus der französischen Ausgabe von 1864):
Dieser Newsletter ist eine Herzensangelegenheit und wird deswegen für die gesamte Dauer des gemeinsamen Reisens selbstverständlich umsonst bleiben, damit wirklich alle Interessierten dabei sein können. Hier kann man mir jedoch eine Mitgliedschaft in einer literarischen Gesellschaft spendieren.
Im August erscheint mein dritter Roman Unter weitem Himmel, in dem Ísland eine ganz entscheidende Rolle spielt. Es geht zwar nicht ins Erdinnere dafür aber in die Ostfjorde, wo 1904 ein Krankenhaus des französischen Staats in Betrieb genommen wurde. Man kann das Buch bereits vorbestellen, zum Beispiel unter diesem Link.
Das Thema Durst erscheint mir sehr genau ausgearbeit mit einer echten Steigerung: von der ersten Sorge - Nicht genug Wasser dabei! - dann Rationierung und letzte Vorräte verbraucht, bis jetzt zur Krise und Verlust der Hoffnung dann Einsetzen des Deliriums bei Axel. In diesem Kapitel erscheinen alle drei Helden für mich zum ersten Mal als sehr glaubhafte Figuren mit auch individueller Antwort auf ihre verzweifelte Lage.
Die petrographische Beschreibung in diesem Kapitel - im Original :
>>À travers l’étage des schistes, colorés de belles nuances vertes, serpentaient des filons métalliques de cuivre, de manganèse avec quelques traces de platine et d’or. Je songeais à ces richesses enfouies dans les entrailles du globe et dont l’avide humanité n’aura jamais la jouissance ! Ces trésors, les bouleversements des premiers jours les ont enterrés à de telles profondeurs, que ni la pioche ni le pic ne sauront les arracher à leur tombeau. <<<
und dann später >> La lumière des appareils, répercutée par les petites facettes de la masse rocheuse, croisait ses jets de feu sous tous les angles, et je m’imaginais voyager à travers un diamant creux, dans lequel les rayons se brisaient en mille éblouissements.<<
enthält wohl gewisse Echos der Erzählung _Laura, voyage dans le cristal_ von George Sand.
Dort beschwört zum Beispiel der Mitstudent Walter den Erzählers, nachdem dessen Wanderung mit Laura durch eine Amethystgeode jäh durch 'cent million de tonerres' (hundert Millionen Donner) abgebrochen wurde und mit blutiger Stirne vor der Vitrine im Mineralienkabinett endete, er möge einsehen, dass dieses Erlebnis nur ein Fiebertraum gewesen sei und außerdem seien diese ganzen Juwelen und Schmucksteine nur hübsch aber wertlos - ganz im Gegensatz zum Torf :
>> 'Oublie tes pics de diamant, le diamant n' est qu'un peu de carbone cristallisé. La houille est cent fois plus précieuse, et en raison de son utilité, je la trouve plus belle que le diamant n'est beau. Rapelle-toi ce que je te disais, Alexis : la pioche, l' enclume , la sonde, le pic et le marteau, voilà les plus brillants joyaux et les plus respectables force du raisonnement humain !'
J'écoutais parler Walter, et mon imagination surexcitée le suivait dans la profondeur des excavations souterraines. Je voyais es reflets de torche illuminant tout à coup les veines d'or courant dans les flancs du quartz couleur de rouille ; j'entendais les voix rauques des mineurs s'engouffrant dans les galeries du fer ou dans les salles du cuivre, et leurs lourdes masses d'acier s'abattant sans merci avec une rage brutale sur les plus ingénieux produits du travail mystérieux des siècles.<<