Wer in der Mitte unserer Reise noch hinzukommen möchte, kann hier die letzten Abschnitte nachlesen oder direkt hier einsteigen:
Ich füge in jeder Woche einen Textabschnitt aus der deutschsprachigen Erstübersetzung (Link zum Projekt Gutenberg) in die eMail ein, sodass alle interessierten Mitreisenden den Text für die jeweilige Woche direkt in ihrem Posteingang haben. Wer eine andere Ausgabe (oder Sprache) liest, kann über diesen kursiv gesetzten Abschnitt hinwegscrollen, alle anderen beginnen ihren Etappenabschnitt hier:
Sechzehntes Capitel.
In dem Krater.
Das Abendessen wurde rasch verzehrt, und die kleine Truppe bettete sich so gut wie möglich. Das Lager war hart, das Obdach wenig solid, die Lage sehr peinlich, fünftausend Fuß über dem Meeresspiegel. Doch war mein Schlaf während dieser Nacht besonders ruhig, so gut, wie seither lange nicht. Ich träumte nicht einmal.
Den andern Morgen wachte man halb erfroren bei lebhafter Kälte im schönen Sonnenschein auf. Ich verließ mein Granitlager, um das prachtvolle Schauspiel vor meinen Augen zu genießen.
Ich befand mich auf dem Gipfel der südlichen Spitze des Snäfields, und mein Blick schweifte von da über den größten Theil der Insel. Wie auf allen sehr hohen Standpunkten ließ eine optische Täuschung die Gestade höher, die inneren Theile tiefer erscheinen. Ich sah zu meinen Füßen tiefe Thäler in allen Richtungen sich durchkreuzen; Abgründe sahen aus wie Brunnen, Seen wie Teiche, Flüsse wie Bäche. Zu meiner Rechten reiheten sich Gletscher an Gletscher und zahlreiche Bergspitzen; aus manchen derselben stiegen leichte Rauchsäulen empor. Die wellenförmigen Erhebungen dieser zahllosen Gebirge, welche bei ihrer Schneedecke wie schäumend aussahen, erinnerten an die Oberfläche eines stürmisch aufgeregten Meeres. Blickte ich nach Westen, so breitete sich vor meinen Augen majestätisch der Ocean aus als Fortsetzung der schafartigen Gipfel. Die Grenze zwischen Land und Meer war nicht zu erkennen.
Ich gab mich also der bezaubernden Entzückung hin, in welche man auf den erhabenen Standpunkten versetzt wird, und diesmal ohne Schwindel, denn ich hatte mich bereits an die Betrachtungen aus der Höhe gewöhnt. Meine geblendeten Blicke schwelgten in der durchsichtigen Ausstrahlung des Sonnenlichts. Berauscht von diesem Wonnegefühl des Höheren dachte ich nicht an die Tiefen, worin bald mein Schicksal mich versenken sollte. Aber die Ankunft des Professors nebst Hans, welche mich auf der Höhe aufsuchten, führte mich in die Wirklichkeit zurück.
Mein Oheim zeigte mir mit der Hand in westlicher Richtung einen leichten Dunst, einen Nebel, einen Anschein von Land, welches die Wogen begränzte.
»Das ist Grönland, sagte er.
– Grönland? rief ich.
– Ja, wir sind keine fünfunddreißig Meilen mehr davon entfernt, und zur Zeit des Thauwetters kommen die Eisbären auf Eisblöcken, die aus dem Norden herbeitreiben, bis nach Island. Aber das will nicht viel heißen. Wir sind nun auf dem Gipfel des Snäfields, und sehen hier zwei Spitzen, eine südliche und eine nördliche. Hans wird uns sagen, wie bei den Isländern der heißt, worauf wir eben stehen.«
»Scartaris.«
Mein Oheim sah mich triumphirend an.
»Zum Krater!« sprach er.
Der Krater des Snäfields stellte einen umgekehrten Kegel dar, und seine Mündung mochte einen Durchmesser von fünf Kilometer haben. Seine Tiefe schätzte ich auf etwa zweitausend Fuß. Wie mochte es in einem solchen Behälter aussehen, wenn er unter Donner und Blitz sich füllte. Der Trichter hatte unten schwerlich mehr als tausend Fuß Umfang, so daß man auf dem ziemlich sanften Abhang leicht hinunter gelangen konnte. Unwillkürlich verglich ich diesen Krater mit einer ungeheuren Donnerbüchse.
»In eine Donnerbüchse, die vielleicht geladen ist, und jeden Augenblick losgehen kann, hinabsteigen, das thuen nur Narren.«
Aber ich konnte nicht mehr zurück. Hans ging mit gleichgiltiger Miene voran. Ich folgte schweigend nach.
Um das Hinabsteigen zu erleichtern, machte Hans den Umweg großer Ellipsen. Man mußte mitten unter ausgeworfenen Felsen gehen, die mitunter aufgerüttelt in Sprüngen bis in den Grund der Tiefe hinabrollten. Laut hallendes Echo begleitete ihr Hinabstürzen.
An manchen Stellen des Kegels befanden sich innere Gletscher. Dann schritt Hans nur mit großer Vorsicht voran, indem er mit seinem beschlagenen Stock den Boden untersuchte, ob nicht Spalten vorkämen. An manchen bedenklichen Stellen mußte man uns mit einem langen Tau an einander binden, damit der, dessen Fuß unversehens zu straucheln anfing, von seinen Genossen Beistand haben konnte. Dies war zwar vorsichtig ersonnen, sicherte aber nicht gegen alle Gefahr.
Inzwischen glückte das Hinabsteigen, trotz der dem Führer nicht bekannten Schwierigkeiten ohne Unfall, außer daß ein Pack Stricke, der den Händen eines Isländers entfiel, den kürzesten Weg in die Tiefe hinabrollte.
Mittags zwölf Uhr kamen wir unten an. Ich blickte aufwärts nach der Mündung des Kegels, welche nur ein äußerst kleines Stückchen Himmel umrahmte. An einem Punkt nur hob sich die Spitze des Scartaris davon ab.
Auf dem Boden des Kraters befanden sich drei offene Kamine, woraus zur Zeit der Ausbrüche des Snäfields das Centralfeuer seine Laven und seine Dünste auswarf. Jeder dieser Kamine hatte ungefähr hundert Fuß Durchmesser; sie klafften zu unsern Füßen. Ich hatte nicht den Muth, hinein zu blicken. Der Professor Lidenbrock hatte ihre Lage schnell untersucht; er war athemlos, lief von Einem zum Andern, gesticulirte, ließ unverständliche Worte hören. Hans mit seinen Kameraden sah auf einem Lavablock sitzend ihm zu; sie hielten ihn offenbar für närrisch.
Plötzlich stieß mein Oheim einen Schrei aus. Ich meinte, sein Fuß sei ihm eingesunken und er sei im Begriff, in einen der drei Schlünde hinabzufallen.
Doch nein. Ich sah, wie er mit ausgebreiteten Armen, gespreizten Beinen vor einem Granitfelsen stand, der auf der Mitte des Kraters lag, wie ein enormes Fußgestell für eine Statue Pluto's. Seine Haltung zeigte einen ganz vom Staunen bestürzten Mann, aber seine Bestürzung wich bald vor einer unsinnigen Freude.
»Axel, Axel! rief er aus, komm'! komm'!«
Ich eilte zu ihm. Hans und die Isländer rührten sich nicht.
»Sieh' nur«, sagte der Professor.
Und mit gleichem Staunen, wo nicht gleicher Freude, las ich auf der Westseite des Felsblocks in Runenschrift, die halb von der Zeit zerfressen war, den tausendmal verwünschten Namen
»Arne Saknussemm! rief mein Oheim aus, wirst Du jetzt noch zweifeln?«
Ich hatte keine Antwort darauf, und kam verstört zu meiner Lavabank zurück. Der Augenschein hatte mich niedergeschmettert.
Wie lange ich so in Gedanken versunken war, weiß ich nicht. Nur das weiß ich, daß ich, als ich den Kopf wieder aufrichtete, meinen Oheim und Hans allein vor mir sah. Die Isländer waren verabschiedet worden, und stiegen bereits auf dem Heimwege nach Stapi den äußeren Abhang des Snäfields hinab.
Hans schlief ruhig am Fuß eines Felsblocks in einer Lavarinne, wo er sich eine Lagerstätte eingerichtet hatte; mein Oheim kehrte auf den Boden des Kraters zurück, wie ein Stück Rothwild in der Fallgrube eines Jägers.
Ich hatte weder Lust noch Kraft aufzustehen, folgte dem Beispiel des Führers und sank in einen schmerzlichen Schlummer, denn es war mir, als hörte ich Getöse, und fühlte ein Schauern im Schooße des Berges.
So verging diese erste Nacht im Innern des Kraters.
Am folgenden Morgen drückte der Himmel grau, umwölkt, schwer auf der Spitze des Kegels. Ich merkte es nicht sowohl an der Düsterheit des Schlundes, als am Zorne meines Oheims.
Ich begriff die Ursache, und es kam wieder ein Rest von Hoffnung in's Herz, aus folgendem Grund.
Von den drei Wegen, welche unseren Füßen sich öffneten, hatte Saknussemm nur einen eingeschlagen. Nach der Angabe des weisen Isländers mußte man ihn an dem in der Geheimschrift angeführten Kennzeichen herausfinden, daß der Schatten des Scartaris in den letzten Tagen des Juni seinen Rand küssen werde. Man konnte in der That diesen spitzen Gipfel wie den Zeiger einer ungeheuren Sonnenuhr ansehen, dessen Schatten an einem bestimmt angegebenen Tag den Weg nach dem Mittelpunkt der Erde zeigen werde.
Nun aber, wenn die Sonne nicht schien, gab's auch keinen Schatten; dann fehlte also das Merkzeichen. Es war am 25. Juni. Blieb der Himmel sechs Tage lang bedeckt, so mußte die Beobachtung auf ein anderes Jahr verschoben werden.
Den ohnmächtigen Zorn des Professors Lidenbrock zu schildern verzichte ich. Der Tag verstrich, ohne daß ein Schatten in den Grund des Kraters hinab fiel. Hans rührte sich nicht vom Platz; doch mußte er sich fragen, worauf wir warteten, wenn er überhaupt sich eine Frage stellte! Nicht ein einziges Wort gönnte mir mein Oheim. Seine unveränderlich nach dem Himmel gerichteten Blicke verloren sich in der grauen und nebeligen Farbe.
Am 26. noch nichts. Den ganzen Tag über fiel Regen mit Schnee vermischt. Hans errichtete aus Lavastücken eine Hütte. Ich ergötzte mich ein wenig an der Betrachtung der tausend an den Seiten des Kegels improvisirten Cascaden, indem jeder Stein das betäubende Getöse vermehrte.
Mein Oheim konnte sich nicht mehr ruhig halten. Auch ein geduldigerer Mensch mußte darüber aufgebracht werden; denn es war wirklich ein Scheitern im Hafen.
Aber der Himmel knüpft an den großen Schmerz unablässig auch die große Freude, und ließ dem Professor Lidenbrock eine Befriedigung zu Theil werden, die seiner verzweifelnden Unlust entsprach.
Auch am folgenden Tage war der Himmel noch bedeckt; aber Sonntags, 28. Juni, am vorletzten Tag des Juni, brachte der Mondwechsel auch einen Wechsel der Witterung.
Die Sonne ergoß reichliche Strahlen in den Krater. Der geringste Berg, jeder Felsen, jeder Stein und jede Erhöhung nahm Theil an der Bestrahlung und warf sofort seinen Schatten auf den Boden. Der des Scartaris zeichnete sich ab wie eine belebte Spitze, die zugleich mit dem strahlenden Gestirn unmerklich sich drehte.
Mein Oheim drehte sich zugleich mit.
Um zwölf Uhr, da er am kürzesten war, beleckte er sanft den Rand des mittleren Kamins.
»Hier ist's! rief der Professor aus. Hier geht's nach dem Mittelpunkt des Erdballs!« fügte er dänisch bei.
Ich blickte auf Hans.
»Forüt! sagte ruhig der Führer.
– Vorwärts!« erwiderte mein Oheim.
Es war ein Uhr dreizehn Minuten Nachmittags.
Wir haben jetzt bereits ein Drittel der Reise hinter uns, wie Matthias in einem Kommentar zum letzten Abschnitt treffend festgestellt hat. Mir ging es tatsächlich genau wie ihm: Auch ich erinnere mich vom vorherigen Lesen des Buches in meiner Kindheit nicht daran, dass der Abschnitt bis zum Hinabsteigen in die Erdmitte so lang war. In dieser Woche haben wir jetzt aber einen Schlüsselabschnitt, der deswegen vermutlich auch am Kapitelende mit genauer Zeitangabe markiert wird, um die Dringlichkeit zu markieren.
Direkt am Kapitelanfang behauptet der Professor, dass die Reisenden von der Spitze des Vulkans Grönland sehen könnten. Ich höre das öfter und es gibt eine Reihe von Leuten, die der Meinung sind, dass man von den Westfjorden aus Grönland sehen kann. Vermutlich iat damit aber einfach nur Eis gemeint, denn Grönland ist 350 Kilometer von Island entfernt und wegen der Erdkrümmung nicht zu sehen.
Tatsächlichen verirren sich aber immer mal wieder Eisbären auf Eissschollen in Richtung Island. Sie sind dann für gewöhnlich extrem ausgehungert und deswegen ein großes Risiko für die Lokalbevölkerung. Im 16. Jahhrundert gab es zwei schlimme Vorfälle, bei denen Menschengruppen hungrigen Eisbären zu Opfer fielen. In den letzten zwanzig Jahren sind fünf Eisbären bis nach Island getrieben, was einige Sorgen geweckt hat, ob die Zunahme mit dem Klimwandel zusammenhängt. Werden irgendwo auf Island Eisbärspuren gesichtet, dann wird sofort ein Riesenaufwand betrieben, um das Tier zu finden. Meist werden die Tiere dann erschossen, auch wenn im Anschluss von der Bevölkerung immer gefordert wird sie zu fangen und nach Grönland heimzufliegen.
Mir gefällt die einfache Seilschaft die Jules Verne später in diesem Kapitel beschreibt: Die Männer binden sich beim gefährlichen Abstieg in den Krater zusammen, um nicht auf Eisflächen auszurutschen und hinabzustürzen. Ich vermute, dass zur Entstehungszeit des Romans Kletter- und Bergsteigervokabular sehr gut bekannt war, immerhin wurden in genau dieser Zeit zahlreiche Versuche gemacht, die noch unbestiegenen Gipfel der Alpen zu erklimmen – das Matterhorn wurde beispielsweise nach mehreren erfolglosen Versuchen 1862 erfolgreich beklettert.
Mit der Passage, in der unser ungeduldiger Professor auf die Sonne warten muss, hst Verbe ganz nebenbei eine der Grundkonstanten des Lebens am Polarkreis beschrieben: Man wartet ständig auf Wetterwechsel, beobachtet das Wetter, spricht über das Wetter, diskutiert die besten Wetterapps und meteorologischen Daten. Und wenn das Wettee sich nicht ändern will, wartet man mehr oder weniger geduldig ab oder baut sich einen Wetterschutz, wie es der lokale Bergführer Hans vorlebt. Ich würde übrigens zu gerne diese ganze Geschichte nochmal aus der Perspektive des stoischen Isländers lesen.
Nach dem Abschnitt aus dieser wissen wir nun auch, in welchen Krater wir heineinklettern müssen und der vielsagende Timestamp macht gespannt auf den ganz konkreten Abstieg in der nächsten Woche!
Dieser Newsletter ist eine Herzensangelegenheit und wird deswegen für die gesamte Dauer des gemeinsamen Reisens selbstverständlich umsonst bleiben, damit wirklich alle Interessierten dabei sein können. Hier kann man mir jedoch ein Seil für eine Seilschaft spendieren.
Im August erscheint mein dritter Roman Unter weitem Himmel, in dem Ísland eine ganz entscheidende Rolle spielt. Es geht zwar nicht ins Erdinnere dafür aber in die Ostfjorde, wo 1904 ein Krankenhaus des französischen Staats in Betrieb genommen wurde. Man kann das Buch bereits vorbestellen, zum Beispiel unter diesem Link.
Die Ausgabe der Bib. Pléiade merkt zu den Runen im Granitfelsen lapidar an:
'L'inscription sur un bloc de rocher semble reprendre un détail du récit de Pont-Jest, _La Tête de Mimer_'
Gemeint ist eine Erzählung von René de Pont-Jest (1829-1904) [https://fr.wikipedia.org/wiki/Ren%C3%A9_de_Pont-Jest], die so interessante Parallelen mit Jules Vernes 'Voyage au Centre de la Terre' (VCT) aufweist, dass Pont-Jest 1877 ihn und Vernes Verleger Hetzel wegen Plagiats verklagte.
Verne wies alle Anschuldigungen von sich und die Klage wurde abgewiesen, wohl weil Verne einen fähigen Anwalt hatte und Pont-Jest sich selber eher ungeschickt vertrat und völlig überzogene Ansprüche gelten machen wollte. Zu dieser Plagiatsaffäre kann man bei Volker Dehs, _Jules Verne: eine kritische Biographie_, Artemis & Winkler, Düsseldorf, Zürich 2005 nachlesen. Anscheinend waren Plagiatsvorwürfe in literarischen Frankreich der Zeit aber eine Art Gesellschaftsspiel aus Reklameabsicht und mit finanziellem Interesse.
Die Geschichte über den allwisssenden Kopf des Mimir [https://de.wikipedia.org/wiki/Mimir] kann man hier im frz. Original finden, Revue Contemporaine, Serie 2, Tome 35 (1863) Volume 70, pp.299-329 [https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k405828c/f298.item].
Parallelen zwischen _La Tete de Mimer_ (LTM) und VCT sind aber stark:
Protagonist - etwas verträumter junger Mann mit Interesse an Wissenschaften. Graüben (VCT) ermutigt eine Forschungsreise, dagegen Marguerite (LTM) als vernachlässigte Verlobte will den Helden abhalten, beide sehr blond & blauäugig - aber das ist ja Standardklischee für deutsches weibliches Personal. Heimatstadt ist Frankfurt a.M. (LTM) bzw. Hamburg (VCT) beide imt pittoresken Häusern und Verkauf alter Bücher. Runenpergament, das mit einem alten Buch von Erasmus (LTM) oder Saknussem (VCT) erworben wird, und dann von altem Gelehrten entziffert wird (Meister Wolfram - LTM) oder eben nicht (Professor Lidebrock - VCT) und das eine Reise in den Norden auf einen Berg auslöst. In beiden Texten spielt bei der Entzifferung die Nähe des Pergaments zu einem offenen Kamin/Feuer eine Rolle - das kommt aber ja aus E.A.Poes _Goldbug_. Es muss ein Berg bestiegen werden, "Nunsfjeld" in Norwegen (LTM) oder der Sneffels. Es gibt recht einsilbige Dienerschaft (Smith - LTM) oder lokale Führer (Hans). Oben auf dem Berg findet sich ein Granitfelsen mit Runen als Zeichen, dass man an der rechten Stelle ist. Dort muss nun eine komplizierte Ortung wie mit dem Schatten einer Sonnenuhr zu einem bestimmten Datum ausgeführt werden - natürlich entspricht das wieder Poes Schatzsuche im Goldbug. Allerdings spielt bei Pont-Jest zusammen mit der Mitternachstsonne jenseits des Polarkreises auch der Mond eine Rolle, der bei ihm auch noch im Westen aufgehen soll, was die Schatzsuche sicherlich etwas kompliziert. Das spezifische Datum in LTM ist die Sommertag-und-Nachtgleiche - ein heidnisches Fest! Auf dem Sneffels ist es vor dem 1. Juli.
Die leichte Abweichung bei dem Datum zwischen den beiden Geschichten ist für mich der stärkste Hinweis, dass sich Verne hier wirklich etwas herausgenommen hat bei Pont-Jest und seine Spuren leicht, ja nachlässig im Sinne von _plausible deniability_ verwischen wollte. Plagiat ist das aber vermutlich kaum, schon weil beide Autoren sich bei Poe zuvörderst bedienen.
Sonst ist die Geschichte bei Pont-Jest eine etwas überladene und langatmige romantische Erzählung - vermutlich inspiriert von Tiecks Runenberg und dem Freischütz. Die Hybris des Helden, der seine Marguerite ins frühe Grab bringt und die ewige Liebe zurückgewiesen hat weil er sich stattdessen mit altheidnischen Kräften Allwissenheit erwerben wollte, wird in einer eher lieblos heruntergeschriebenen kurzen Nachschrift, mit vorläufigen Martern, Tod & Verderben bis in alle Ewigkeit oder wenigstens zum jüngsten Gericht abgestraft. Die Geschichte und wie sie geschrieben ist, illustriert aber schon den literarischen Humus, in dem Verne seine Romane heranzüchtet.