36 Kommentare

Das war ein schöner Anfang voll mit zauberhaften Details. Beim Nussknackerkopf musste ich zuerst an den gleichnamigen Vogel denken. Vogelköpfe als Deko auf Spazierstöcken sind ja auch irgendwie ein Ding. Fragt sich bloß, ob der Vogel auf französisch auch so heißt.

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Die recht poetische Reihe an Steinen würfelt die Kategorien sehr schön durcheinander - leicht an Borges' chinesisches Bestiarium erinnernd. Aber natürlich wird das hier zusammengehalten durch die Sprechschwierigkeiten des Professors. Einige der Mineralien, die nicht ganze Gruppen oder Konzepte (rhomboedrisches Kristallsystem!) sind, kann man wohl identifizieren. Hier liest sich das frz. Original der 2ten Ausgabe etwas nützlicher:

>> Mais lorsque'on se trouve en présence des cristallisations rhomboédriques, des résine retinasphaltes, des ghélenites, des fangasites, des molybdates de plomb, des tungstates de manganèse et des titaniates de zircône, il est permis à la langue la la plus adroite de fourcher.<<

In der Bib. de la Pléidade Ausgabe gibt es dazu eine längere Anmerkung, die aber auch noch nicht alles klärt:

>>... - Le rétinasphalete désigne une résine fossile jaunâtre qui existe dans la tourbe ou dans la le lignite.<<

Fossiles Harz also - und wir stecken im Torf oder der Braunkohle. Aber eigentlich steht es im Text wegen der zungenbrecherischen Qualitäten. In nächsten Kapitel liest man, dass das frühe 19.Jh wohl die mineralische Welt u.a. in brennbare, metallische und steinartige (inflammable, métallique, lithoide) unterteilte. Hier ist also auch ein Stellvertreter für die organischen brennbaren - wie eben Mineralöl bis Anthrazit.

>> - La gehlénite (et non ghélenite) est un silicate alpestre identifié par Adolf Ferdinand Gehlen (1775 - 1815).<<

Hier wird es interessanter. Das ist nun ein echtes Mineral im heutigen Sinn - Ca2Al2SiO7 - aber aus der Urgroßvätergeneration. Gehlenit wurde von Johann Nepomuk von Fuchs 1815 als erstes beschrieben und nach seinem eben verstorbenen Vorgänger A.F.Gehlen [https://de.wikipedia.org/wiki/Adolph_Ferdinand_Gehlen ] benannt. Beide waren im Lauf ihrer Karriere Wissenschaftler bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften - aber Gehlen in ihrer Frühphase so arm, dass er seine Experimente zu Hause im Schlafzimmer durchführen musste und sich bei seinem letzten eine tödliche Arsenvergiftung zuzog. Mineralogisch-chemische Forschung war wohl schon immer abenteuerlich gefährlich und die Austattung akademischer Forschung wie immer bestenfalls unzureichend.

>> - La faujasite (et non fangasite) est un silicate hydraté naturel d'aluminium, de sodium et de calcium nommé par Barthélemy Faujas de Saint-Fond (1741 - 1829).<<

Und nun wird es - im Sinn abseitiger Forschung - wirklich interessant. Warum ist dieses Mineral selbst in der 2. Ausgabe und natürlich in der dt. Übersetzung derart verschrieben ?

Denn diesen Barthélemy Faujas de Saint-Fond müßte Jules Verne eigentlich gekannt haben.

Davon mehr später, vielleicht.

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Die nächsten Steine in der Reihe stellen weniger ein Problem da. Die Bib. Pléd. notiert hier:

>> - Le molybdate est und silicate de molybdène. - Le tungstate désigne un sel d'acide tungsténique (dérivé du tungstène). <<

Hier werden die Kationen unterschlagen - wie in der dt. Übersetzung unterschlagen. Im frz. Original sind das doch 'molybdates de plomb', also Bleimolybdate und 'tungstates de manganèse' das sind Manganwolframate.

Das erste ist Wulfenit, chemische Formel Pb(MoO4) benannt zu Ehren von Franz Xaver von Wulfen (1728-1805), der sich um den kärntenischen Bleibergbau und seine Mineralogie bemühte. Die Beschreibung und der Name stammen von Wilhelm Karl von Haidinger.

Dieses Mineral ist das eine Ende einer kontinuirlichden Reihe von Blei-molbydaten und Blei-wolframaten bekannt als Wulfenit - Stolzit-Reihe, Pb(MoO4) - Pb(WO4)

[https://www.mindat.org/min-39448.html].

Das andere Ende ist nach Johann Anton Stolz (1778-1855) benannt, aber hier nicht mitgemeint.

Das Wolframat in unserer Reihe ist MnWO4, das reine und relativ seltene Mineral am Ende der Wolframit Serie (Fe,Mn)WO4, das andere Ende FeWO4 ist jetzt als Ferberit bekannt. Die gemischten Wolframite (also Eisen und Mangan gemischt als Kationen) sind wohl die wichtigsten und häufigsten Wolframerze.

Die meisten Namensgeber dieser Minerale kommen aus den deutschen Ländern, wobei sich die klare Identifizierung des Hübnerits und die Namensgebung nach Adolph Hübner, einem Freiberger Metallurgen durch Eugene N. Riotte einem in die USA ausgewanderten deutschstämmigen Bergbauingenieur anhand von Proben von den 'Erie and Enterprise veins, Ellsworth (Mammoth) district, Nye County, Nevada', bis 1865 hinzog [https://www.mindat.org/min-1940.html]. Hier ist eine kurze Notiz dazu [https://rruff.info/uploads/Berg_und_huttenmannische_Zeitung24_370.pdf].

Jules Vernes Reihe an unausprechlichen Mineralnamen zeigt sich hier also auf der Höhe der Zeit. In den 1860er Jahren war das aktuelle Forschung, worüber er berichtet.

Amüsant finde ich bei den Möglichkeiten der Recherche mit den wenigen Tools, wie man die leicht flüchtige und jedenfalls sehr rapide Bewegung Verne'scher Reiseromane mit ihrer Art von punktueller Konzentration und rapider Bewegung dazwischen imitieren kann - von Bad Bleiberg in Kärnten nach Nevada und zurück - ohne sich zu sehr in Details zu verlieren und die Distanz dazwischen wie ein Fingerschnipsen. Abgesehen von den Flugreisen jetzt, hat sich die terrestrische Reisegeschindigkeit ja seit der 2. Hälfte des 19. Jh. auch kaum mehr erhöht, während man die Informationsverbreitung mit instantaner direkter Einsicht überall auf der Welt bis ans physikalische Limit fast erhöhen konnte.

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Die letzten beiden (?) Steine der Reihe stellen nun ein offenes Problem dar. Die Bib.Pléd. Notiz dazu

>> - Le titanate (et non titaniate) de zircone (sans accent circonflexe) nomme un oxyde de zirconium. Le zircon (sans _e_) est un silicate donnant des gemmes transparentes, dont l'hyacinthe.<<

ist zwar ganz vernünftig und verweist darauf, dass hier von einem Mineral oder einer Mineralgruppe die Rede ist, während die dt. Übersetzung mit 'Titianiaten und Zirconen' so tut, als sei von zwei Grupppen die Rede.

Das Mineral Zirkon ist Zr(SiO4) also ein Silikat und war als Diamantersatz etc. und mit chemischen Verunreinigungen als Hyacinth seit sehr langem bekannt. Letzteres von Agricola 1546 und auch 1772 als Hzacinthe von Faujas de Saint-Fond beschrieben.

Aber das kann nicht gemeint sein, da der Text ziemlich eindeutig von einem Titanat des Zirkoniums spricht und Zirconium seit Ende 18. Jh. als Element - eben Bestandteil des Zirkons - bekannt war und als Metall 1824 von Berzelius dargestellt worden war.

Und natürlich kann in gewissem Ausmass Titan durch Zirconium in einer Struktur ersetzte werden, da das Atome aus der Gleichen Gruppe sind. Aber entsprechende Minerale basierend auf Calcium-monoxide und Zirconium-dioxide unter dem Namen Zirkelit oder Zriconolite [ Hussak E, Prior G T (1895) Lewisite and zirkelite, two new Brazilian minerals, Mineralogical Magazine, 11, 80-88; https://rruff.info/uploads/MM11_80.pdf] sollten MItte 19.Jh. nicht so recht bekannt gewesen zu sein. Die damals bekannten Titan-dioxide TiO2 wie Anatase, Rutil und Brookite als Hauptvertreter Titan-haltiger Minerale enthalten selten grosse Anteile Zirconium.

Eine reizvolle Option ist es, das überzählige 'i' in 'titaniates' ernst zu nehmen und das Ganze als 'titanites de zirconium' zu lesen, was auf eine Zirconium-Legierung des Titanits CaTi[O|SiO4] verweisen würde, also Ca(Ti(1-x)Zrx[O|SiO4]. Solche Titanit-Legierungen existieren als Minerale.

Das Titanit wurde erstmals von Klaproth 1795 anhand Proben aus dem bayerischen Wald beschrieben

[https://rruff.info/uploads/Beitrage_zur_chemischen_Kenntniss_1_1795_251.pdf ; sehr hübsch wie er den Namen rechtfertigt "Da numnehro aus diefen Erfahrungen nicht nur unwidersprechliche Anzeigen einer metaIlischen Natur dieses Bestandtheils hervorleuchten,sondern auch dessen eigenthümliches Verhalten mit dem, des unmittelbar vorher abgehandelten neuen metallischen Körpers, des Titanium, im Ganzen sehr übereinstimmt, und die kleinen Abweichungen in den Erscheinungen bloss von Nebenumständen herzurühren scheinen, so trage ich kein Bedenken, diesen Bestandtheil als _Titankalk_ aufzuführen. Um auch das Fossil selbst, als eigene Gattung, durch einen besondern Namen unterscheiden zu können, so würde die, von solchem neuen Metallstoffe hergenommene Benennung: _Titanit_, nicht ganz unschicklich seyn ..."].

Klaproth entdeckte auch Zirconium als Element und war Mitentdecker des Titans.

Es fehlt aber ein positiver Beleg, dass um 1867 oder in den 20 Jahren davor irgendwo ein größerer Bericht über Titanite mit Zirconium erschien, der Jules Verne oder seinem Zuträger zugänglich gewesen sein könnte.

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Am Ende dieser Notizen zu der zu radebrechenden Reihe zur Nomenklatur mineralogischen Realien kann man vielleicht einen Blick auf Jules Vernes Schreibpraxis werfen. Er erzeugt hier diese Art von Poesie von Schiffkatalogen oder eben Mineralienlisten aus irgendewelchen schon aktuellen Quellen. Die Verschreibungen mögen das Versehen under Übereifer von Druckern sein - manche davon sind der Übersetzung zwischen deutschen Namen unde Erfodernissen der französischen Orthographie geschuldet - ghélenite an Stelle von Gehlenit und der überflüssige accent circonflex für die falsche Ableitung cône in zircone, was eher von jargon kommen soll. Es scheint auch so, als habe er sich einer Art mündlicher Quelle bedient, etwas einen guten Freund gefragt, was er denn als schwer auszusprechende Mineralien gerade im Kasten oder auf dem Schreibtisch habe, - und das dann eben so wie gehört notiert ohne genauer nachzulesen und zu recherchieren.

Ich könnte mir aber (sehr gerne) auch vorstellen, dass dies eine vielleicht absichtslose und unbewusste Schlamperei als Strategie ist, die eher nüchternen und mühevollen naturwissenschaftlichen Tatsachen durch eine gewisse Mystifikation ins Fantastische entgleisen zu lassen. D.h. er hantiert mit gut definiertem Sachwissen legiert dann aber freihändig einige Fehler und Ungenauigkeiten bei, die er in der weiteren Entwicklung nach Belieben eskalieren lassen zu können.

Mal sehen, welche Steine er uns derart noch in den Weg legen wird ...

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Ein paar Quellen - Wikipedia in Variationen ist für klassische Minerale sehr gut und macht viel an Bildern und weiteren Quellen zugänglich:

https://en.wikipedia.org/wiki/Faujasite

https://www.mindat.org/min-35126.html

https://rruff.geo.arizona.edu/doclib/hom/faujasitena.pdf

Witteborg, Werner. "Zur Kristallmorphologie von Faujasit und Linneit" Zeitschrift für Kristallographie - Crystalline Materials, vol. 83, no. 1-6, 1932, pp. 374-383. https://doi.org/10.1524/zkri.1932.83.1.374

Structure of natural and NH 4 -exchanged Sasbach faujasite: a single-crystal study, by Riccardo Fantini, Rossella Arletti, Linda Pastero, Simona Quartieri, Francesco Di Renzo, Fernando Cámara, Giovanna Vezzalini

European Journal of Mineralogy (2018) 30 (3): 515–523.

DOI: https://doi.org/10.1127/ejm/2018/0030-2745

https://de.wikipedia.org/wiki/Gehlenit

https://rruff.geo.arizona.edu/AMS/result.php?mineral=Gehlenite

https://www.mineralienatlas.de/lexikon/index.php/MineralData?mineral=Gehlenit

https://rruff.info/gehlenite/

https://en.wikipedia.org/wiki/Hübnerite

https://webmineral.com/data/Hubnerite.shtml

https://en.wikipedia.org/wiki/Stolzite

https://www.mindat.org/min-3794.html

Stolzite-Wulfenite-series

https://www.mindat.org/min-39448.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Wolframit

https://www.mindat.org/min-4305.html

https://en.wikipedia.org/wiki/Wulfenite

https://de.wikipedia.org/wiki/Wulfenit

https://www.mindat.org/min-4322.html

https://rruff.geo.arizona.edu/doclib/hom/wulfenite.pdf

https://www.webmineral.com/data/Wulfenite.shtml

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Nun also weiter mit Faujasite ein wirklich recht seltenes Mineral. Die chemische Formel ist (Na2,Ca,Mg)3.5[Al7Si17O48]·32(H2O). Es handelt sich um ein Mineral aus der Gruppe der sehr wasserhaltigen natürlichen Zeolite [T.Armbruster, M.E.Gunter, Reviews in Mineralogy and Geochemistry (2001) 45 (1): 1–67; https://doi.org/10.2138/rmg.2001.45.1]. Diese kubischen Kristalle haben riesengroße kubische Einheitszellen. Das Aluminium-Silikat-Gerüst bildet dreidimensionale Netzwerke offenporiger Ringe, die deshalb von Kristallwasser gefüllt werden können. Wegen ihrere Komplexität konnten diese Strukturen erst seit Mitte 20.Jahrhundert aufgeklärt werden, gleichzeitig wurden solche Zeolite aber auch künstlich synthetisiert und werden in einer Unzahl chemischer Prozesse für Katalyse bis hin zu Waschmitteln eingesetzt. Chemische Forschung zu Zeoliten und ähnlichen Schwammkristallen scheint bis heute ein unübersehbar grosses Teilgebiet für Spezialisten - die simple Suche 'faujasite' auf scholar.google.com gibt "etwas 34.000" Ergebnisse allein, Suche nach 'zeolite' aber 1.630.000.

Bekannt sind Zeolite oft als molekulare Siebe etc. Künstlich synthetisiertes Faujasite zählft wohl zu den ersten und wohl wichtigsten dieser Materialien und ihre künstlichen Varianten sind bekannt als Zeolite, Typ X oder Y oder auch Linde-X, Linde-Y. Deshalb interessieren sich die Chemiker bis heute für das natürliche Faujasite als Standart.

Entdeckt wurde es aber im 19.Jh. von einem Marquis de Drée und einem Monsieur Adam im Limberg Steinbruch von Sasbach am Kaiserstuhl. Erstmals beschrieben von Augustin Alexis Damour (1808-1902) [Damour, M. (1842) Description de la faujasite, nouvelle espèce minérale. Annales des Mines, Sér. 4, 1, 395-399. https://rruff.info/rruff_1.0/uploads/AMRMEM1_395.pdf], der ein wirklich berühmter Mineraloge zu Jules Vernes Zeiten war und selbst einige Entdeckungsreisen in seinem recht langen Leben unternahm. Damour erkannte als erster, dass diese Faujasit kubisch war - aufgrund optischer Eigenschaften - und gab dem Material den Namen Faujasit nach dem Vulkanologen, Geo-forscher etc. Barthélemy Faujas de Saint-Fond, der eine ähnliche Karriere wie Damout etwa 50 Jahr zuvor absolvierte, vom französischen Staatsbeamten via Liebhaberei zu Geowissenschaften.

Und dieser Faujas de Saint-Fond führt uns zurück zu Jules Verne. Faujas wurde so etwas wie Lehrstuhlinhaber und Direktor am Museum nationale d'histoire naturelle, war ernsthaft an Vulkanogie interessiert aber eben auch an Luftfahrt, förderte die ersten französischen Luftfahrer, die mit Wasserstoff und Heissluftballonen experimentieren, und verfasst darüber mehrer Berichte [u.a. zwei Bände: Description des expériences de la machine aérostatique de MM. de Montgolfier et de celles auxquelles cette découverte a donné lieu, suivie de recherches sur la hauteur à laquelle est parvenu le ballon du Champ-de-Mars.. etc. Cuchet, Paris 1783; https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8615776x/f9.image], die rasch auch in andere Sprachen übersetzte werden, u.a. auf deutsch [Beschreibung der Versuche mit den aerostatischen Maschinen d. H. von Montgolfier : aus d. Franz. ; mit 8 Kupfern, Leipzig 1784. https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10080698-5 ].

Es ist also fast ausgeschlossen, dass Verne den Namen nicht gekannt hat. Sein Roman 'Cinq semaines en ballon' erschien ja vor der 'Voyage au centre de la terre' und er hat sich erkennbar mit der Geschichte der technischen Neuerungen befasst, die er als Vehikel für seine Erzählungen einsetzte. Note: den Ballon-Roman müsste man mal auf den historischen Einleitungsteil hin untersuchen.

Eher gegen Ende der lange Reihe von Romanen kehrt Verne unbewusst und unabsichtlich (?) nochmals zu Faujas de Saint-Fond zurück. Faujas unternimmt im späteren Leben eine polyglotte Forschungsreise im Still Romane von Verne zusammen mit dem italienischen Wissenschaftler Paolo Andreani und dem Amerikaner William Thornton auf die britischen Inseln. Faujas schlägt einen vulkanischen Ursprung für die auch literarhistorisch interessante Fingal-Höhle auf der Insel Staffa vor. Sein Bericht darüber ist sehr reizend ausführlich betitelt: 'Voyage En Angleterre, En Écosse Et Aux Îles Hébrides : Ayant Pour Objet Les Sciences, les Arts, l'Histoire naturelle et les Moeurs ; Avec La Description minéralogique du pays de Newcastle, des montagnes du Derbyshire, des environs d'Édinburgh, de Glasgow, de Perth, de S.-Andrews, du duché d'Inverary et de la grotte de Fingal. Paris 1797; https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10715563-6].

Und auf Staffa lässt Verne Teile seiner späteren Romane Le Chancellor und Le Rayon vert spielen. Offenbar hat er die Insel selbst besucht. Fast ausgeschlossen, dass er von Faujas de Saint-Fond nichts wusste.

Es bleibt dann die Frage, warum Verne dieses Mineral vom Kaiserstuhl so verschrieben hat. Vermutlich war es der Drucker und absolut schludriges Korrekturlesen.

Note: wenn man Bücher von Vielschreibern liest hat man offenbar das Problem, dass die Liste des vielleicht noch zu Lesenden etwas zu schnell anwächst. Als Aufgabe bliebe, herauszufinden, ob Verne Faujas wirklich direkt irgendwo erwähnt und daher sicher gekannt hat, oder ob einige der Werke von Faujas ihm zugänglich waren.

Note: Marquis de Drée und dieser Adam geistern durch die frühe Literatur zu Faujasit und die natürlichen Zeolite, aber lassen sich biographisch mit den simplen Resourcen wie wikipedia, BNF und deutsche-digitale-bibliothek nicht so recht fassen.

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Die bereits erwähnten Details werden umso schöner, wenn man ihnen nachgeht und etwa bei Wikipedia liest, bei Fayencen handle es sich "um mit offener Porosität gesintertes Irdengut" und sich die Frage stellt, ob dies dem Professor ebenfalls schwer über die Lippen gekommen wäre.

https://de.wikipedia.org/wiki/Fayence

Die Geschichte beginnt in unruhigen Zeiten. Das Johanneum scheint ohne Rector - Friedrich Karl Kraft ist nach über 30 Jahren und bedeutenden Umwälzungen von diesem Amt zurückgetreten, Cornelius Müller gilt wahrscheinlich als eine verdiente Übergangslösung, der Altphilologe Theodor Kock beginnt seinen kurzen Dienst, möglicherweise noch betrübt über den Misserfolg seiner ein Jahr zuvor gedruckten Tragödie "Merope", erst ein halbes Jahr später. Vielleicht ist Lidenbrock auch deshalb nicht unglücklich, Abstand von seinem "Eigenthum" zu nehmen, dessen Vorläufigkeit ("das Senkblei durfte man an seine Seiten nicht anlegen; aber im Ganzen hielt es sich fest") vielleicht nicht nur mit der Ungeduld des Professors zu erklären ist.

Wer in einer eher bildungsfernen Stadt wie Hamburg (die Universität wird erst 1919 gegründet), Lehrer ward, mag seine Gründe gehabt haben, und die Erweiterung der Bildungseinrichtung um einen Realzweig unter Friedrich Kraft kann im Kollegium nicht ausschließlich positive Gefühlen hervorgerufen haben. Insofern wäre ich neugierig, mehr von der Geschichte des Professors zu erfahren, wenn es sich nicht um eine Romanfigur handelte.

Über die Romanfigur zieht das Hamburger Abendblatt Doris Oldenburg heran, die Folgendes beschreibt: "Der reiselustige Schriftsteller Jules Verne weilt in Hamburg, und bei einer kleinen Abendgesellschaft, die Jakob Gallois, der Französischlehrer des Johanneums, zu Ehren seines berühmten Landsmannes gibt, lernt dieser einen hochgeschätzten Kollegen desselben kennen, Wissenschaftler mehr denn Lehrer, Mineraloge, Geologe - da entsteht sie, die zentrale Figur des nächsten Romans, den er schreiben wird ..."

Weiterhin das Abendblatt:

"Mineralogie und Geologie lehrten 1861 am Akademischen Gymnasium, einem Zweig des Johanneums, Prof. K. W. M. Michel und Dr. Karl Möbius, die Vorlesungen wurden im "Hamburger Correspondent" angekündigt. Den Namen seines Helden Lidenbrock borgt sich der Dichter offenbar von Prof. Friedrich Lindenbrog (1573-1648), dessen Schriften sich auch in der Pariser Nationalbibliothek finden. "

https://www.abendblatt.de/hamburg/article107025972/Vom-Johanneum-fasziniert.html

Was mich jedoch initial am meisten interessiert, ist die sich abzeichnende Beziehung zwischen erzählender Person und dem Professor. Neben dem Lamentieren über Sonderlingstatus, Zorn und Ungeduld, was auch als Vermenschlichung oder Abwertung einer Person verstanden werden kann, zu der man ansonsten ständig aufblicken muss, scheint es auch eine fördernde Seite zu geben - an Pflanzen, die er pflanzt, zieht der Professor, um ihr Wachstum anzuregen; das hat zumindest etwas Bezogenes. Aber dazu im Verlauf mehr.

Wer sich ins Johanneum-Rabbithole abseilen möchte, findet hier einen schönen Einstieg:

https://digitalisate.sub.uni-hamburg.de/recherche/detail?tx_dlf%5Bid%5D=30766&tx_dlf%5Bpage%5D=1&tx_dlf_navigation%5Bcontroller%5D=Navigation&cHash=ecb2b5f06f8851fd4e4cec02d119b039

Ansonsten:

https://johanneum-hamburg.de/index.php/schola-nostra/schule-mit-geschichte/geschichte/10-rectores-johannei

https://www.deutsche-biographie.de/gnd101472447.html#ndbcontent

https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Karl_Kraft

https://de.wikipedia.org/wiki/Cornelius_M%C3%BCller

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Vielen Dank für die interessanten Erläuterungen. Offenbar hat das Johanneum eine gewisse wissenschaftliche Breitenwirkung erzielt. Es war mir tatsächlich auch nicht klar, dass die Uni in Hamburg vergleichsweise jung ist. Hat man bei Unigründung vom Johanneum profitieren und darauf aufbauen können?

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Ich mag die kleinen Details, zum Beispiel dass sein Hut gegen den Strich gebürstet ist. Und dass er sprichwörtlich am Gras zieht, damit es wächst. Ob er wohl auch so mit Axel als Kind umgegangen ist?

Die "Vierlanden" haben mich an die "Gretchen Asmussen" Bücher erinnert, die etwa zur selben Zeit gespielt haben, etwas später, auch in Hamburg. Ich dachte immer das ist viel weiter weg, aber jetzt weiß ich dass die Vierlande Hamburger Bezirke sind!

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A propos "Transcedentale Krystallographie" - scheint "a thing" gewesen zu sein.

https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783835344525/kristallisationen

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Was mag sich Jules Verne unter einer "ansehnlichen" Brille vorgestellt haben?

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Diesen putzigen Löwen mit einer (irgendwie faszinierenden, aber irgendwie auch sehr überflüssigen) Funktion fügt sich für mich richtig gut in die übrige Beschreibung des Professors. Ich gehe ab sofort davon aus, dass er genau diesen Stock besitzt.

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Jan 22Bearbeitet

In der französischen Originalausgabe gibt es tolle Illustrationen (von "Riou"), darunter auch eine vom Haus in der Königstraße. Mir als Nicht-Hamburger sieht es überhaupt nicht wie Hamburg aus, aber vielleicht weiß jemand mehr?

https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8600259v/f23.item

(Der Link führt übrigens zur vollständig digitalisierten Originalausgabe auf der Website der Bibliothèque Nationale Francaise, kann man gut drin schmökern und die Bilder sind eh toll)

Zur "canne à casse-noisette": googlen führt zu einigen Diskussionen auf französisch, ebenso wie Bildern. Es wird allgemein vermutet, dass es sich um einen Knauf in Form *des* Nussknackers aus dem Märchen oder aber um einen tatsächlichen, funktionierenden Nussknacker handelt. Hier ein Beispiel für einen Stock mit Nussknacker in Form eines Löwen: https://www.aguttes.com/lot/24320/5299516?npp=150&

(Übersetzung der Beschreibung: "Nussknackerstock mit Holzknauf, der in Rundhölzern mit einem karikaturistischen Löwen beschnitzt ist, der mit weit aufgerissenem Maul auf einem runden Podest sitzt, das den Ring bildet. Der Schaft/Ast ist aus Hartriegelholz, die Holzschraube zerquetscht die Haselnuss unter dem Bauch des Löwen."

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Diesen putzigen Löwen mit einer (irgendwie faszinierenden, aber irgendwie auch sehr überflüssigen) Funktion fügt sich für mich richtig gut in die übrige Beschreibung des Professors. Ich gehe ab sofort davon aus, dass er genau diesen Stock besitzt.

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Noch was zum Thema "casse-noisette": der Name des Nussknackers im Märchen wird auf französisch kapitalisiert: "Casse-Noisette", ich würde also vermuten, er hat tatsächlich einen Stock zum Nüsse knacken. Fände interessant, herauszufinden, wie ungewöhlich sowas damals war, es also zu seiner Beschreibung als etwas schrullig gehört.

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Haha, ich liebe wie die Illustration so einen allgemeinen deutsch-fachwerk Kitsch aufmacht, der wirklich nichts mit Hamburg zu tun hat, aber vermutlich extrem viel mit dem Deutschland-Bild des Zeichners.

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Jan 22Bearbeitet

Ja gell, dachte ich auch. Aber "Königstraße" scheint mir auch ein Klischeename einer deutschen Strasse zu sein, die frz. Leser*innen sofort verstehen würden.

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Ich habs als Kind mal gelesen, schöne Idee. Als Hamburg-Bewohnerin bin ich jetzt direkt über die Königstraße und ihre Beschreibung gestolpert und musste es recherchieren, weil die heute Königstraße nicht im damaligen Hamburg, sondern in Altona liegt und auch nicht der beschreibung entspricht.

Aber ich war nicht die erste, die sich gewundert hat. und es war damals ein Teil der heutigen Postraße in der Innenstadt

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Das passt ja auch zum beschriebenen Canal, der dann wohl eher ein Fleet ist. Die Beschreibung hat mich auf jeden Fall so ein wenig an die alten Häuser erinnert, die in der Deichstraße noch stehen.

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Das Johanneum war damals auch noch in der Innenstadt und nicht wie jetzt in Winterhude.

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Oh toll, danke für die Suche.

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Auf der Altonakarte von 1890 auf https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8d/Hamburg.Plan.1890.png

findet man die Königstraße in den Quadraten A4 bis C5.

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Ich habe den Roman in einer Neuübersetzung gelesen, in der der Originalname des Mündels verwendet wird: Graüben (statt Gretchen wie in der Übersetzung hier). Ich fand den Namen irritierend und belustigend zugleich. In der französischen Wikipedia habe ich nachgelesen, dass Verne womöglich diesen Namen selbst kreiert hat, indem er das Wort "graben" mit einem Umlaut weiter "germanisiert" hat.

Durch diese Irritation hat bei mir die Figur Graübens bei jeder Erwähnung einen starken Eindruck gemacht und war viel präsenter als sie hier unter dem Namen Gretchen ist.

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Das "Häagen-Dazs" des 19. Jahrhunderts. Über das "Graüben" habe ich in der französischen Ausgabe komplett drüber weggelesen, dafür hing ich dieses Mal an den Vierlanden fest.

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Da stellt sich mir die Frage, warum wir überhaupt deutsche Protagonisten haben. Inspiriert von Humboldt? Von E. T. A. Hoffmann, wie in einem anderen Kommentar beschrieben? Oder was das Johanneum eine Größe in Mineralogie, die man auch in Frankreich kannte? Oder war einfach deutscher Fachwerkkitsch en vogue?

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Ich habe ja den Verdacht, dass das unter anderem erzählpragmatisch ist, weil man die Figuren von Hamburg zur Abreise nach Island eben etwas kürzer bewegen muss als von Paris aus.

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So, nun finde ich auch die Zeit, etwas tiefer einzusteigen. Die wunderbare Neuübersetzung von Volker Dehs (von 2005) enthält im Anhang eine Reihe interessanter Erläuterungen. Demnach gab es damals unter französischen Autoren eine gewisse Mode, schrullige deutsche Wissenschaftler als Protagonisten zu wählen. Verne selbst ist 1861 auch über Hamburg und Kiel nach Skandinavien gereist, hat also eigene Erfahrungen einfließen lassen können.

Hamburg hatte erst später eine Universität, dafür aber gab es am Johanneum zur Zeit des Romans öffentliche naturwissenschaftliche Vorlesungen und insb. auch eine umfassende mineralogische Sammlung. Die Figur des Prof. Lidenbrock hat wohl große Ähnlichkeiten zum damals dort wirkenden Prof. Möbius.

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Ich habe an Verne immer geschätzt, dass er bei der Wahl seiner Charaktere oft auch kosmopolitisch war, aber ein Stück weit ist es auch stereotyp: Jemand wie Fogg _musste_ Engländer sein, sonst hätte die Geschichte nicht so gut funktioniert. Geradezu prophetisch, dass er die Amerikaner als Erste zum Mond schickt. Und die Deutschen waren damals eben für die Geologie zuständig?

Was ich noch lustig fand: Den Namen 'Lidenbrock'. Und bei Vernes "500 Millionen der Begum" gibt es einen 'Bruckmann'. Es erinnert mich an meine Schulzeit, als wir Candide lasen, wo Voltaire den absurden Namen 'Thunder-ten-tronckh' ins Feld führt - das 'ck' scheint eine gewisse Magie für die Französische Sprache zu haben... ;-)

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Vielen Dank für die tolle Einführung und überhaupt die gute Idee zu dieser Lesegruppe. Macht jetzt schon Spaß. Ich finde, man merkt der Figur des Professor Lidenbrock stark den Einfluss von E.T.A. Hoffmann an: der sozial auffällige Sonderling, der einen grotesken Kampf mit der eigen Körperlichkeit führt, der Körper bewegt sich so halb mechanisch wie von selbst, die Augen rollen, die Worte stocken. Die monomanische Beschäftigung mit einer als irgendwie abwegig beschriebenen Wissenschaft, das grotesk krumme Haus (man denkt an Archivarius Lindhorst oder Rat Krempel). Und hierzu gehört dann auch der Spazierstock mit Nussknackerknauf, auch so ein Gegenstand der eine Art Eigenleben haben könnte. An solchen Gegenständen haben sich die französischen Hoffmannfans verrückt gefreut, alte Kaffeekannen, Pfeifen usw., die dann lebendig werden (bei Theophil Gautier). Das wirkt um 1860 wahrscheinlich schon ein bisschen wie ein altvertrautes Klischee.

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Ich werde also jetzt defintivi in den weiteren Kapiteln die Augen aufhalten, was für absurde Gegenstände mit potentiellem Eigenleben uns noch begegnen.

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Kann aber auch sein, dass er das dann einfach fallen lässt. In Maitre Zacharius, einer frühen Erzählung, gibt es das noch. George Sand, die ein Jahr vorher eine Erzählung "Voyage en Cristal" geschrieben hat und von der manchmal gesagt wird, dass Jules Verne bei ihr abgeschrieben hätte, spielt noch ganz auf dieser Hoffmann-Klaviatur. So, hier endet aber mein Vorwissen und ich halt die Gusch 😁.

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Daraus schließe ich, dass mit dem Spazierstock die Nuss geknackt wurde, was das Ganze irgendwie noch besser macht.

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Vielleicht kann man sich dem Nussknackerkopf von der anderen Seite nähern?

Wie der Hut vermute ich, dass damit die Sonderlichkeit des Professors rausgestellt werden soll. Also dass es ungewöhnlich oder zumindest schon veraltet war.

Jedenfalls ist doch interessant, dass er so sperrig vorgestellt wird, sogar mit (Sprech-) Behinderung. Das ist doch ganz schön weit weg von den Übermenschen-Trope der Abenteuerliteratur!

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Noch ein Stock mit Funktion: https://www.basedau.com/index.php?option=com_content&view=article&id=1401:nussknacker-baeuerin&catid=12&lang=de&Itemid=114.

Und der Hut des Professors ist "gegen den Strich gebürstet". Sowas tut man mit Filzhüten besser nicht, wenn ich das recht verstehe, sondern immer schön gegen den Uhrzeigersinn mit der Richtung des Filzes.

Also ja, beides soll den Professor wohl als Sonderling kennzeichnen.

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