Wer in der Mitte unserer Reise noch hinzukommen möchte, kann hier die letzten Abschnitte nachlesen oder direkt hier einsteigen:
Ich füge in jeder Woche einen Textabschnitt aus der deutschsprachigen Erstübersetzung (Link zum Projekt Gutenberg) in die eMail ein, sodass alle interessierten Mitreisenden den Text für die jeweilige Woche direkt in ihrem Posteingang haben. Wer eine andere Ausgabe (oder Sprache) liest, kann über diesen kursiv gesetzten Abschnitt hinwegscrollen, alle anderen beginnen ihren Etappenabschnitt hier:
Zwölftes Capitel.
Nach Snäfieldsnäß.
Wir hatten bei der Abreise bedeckten Himmel, doch beständige Witterung, weder erschöpfende Hitze zu fürchten, noch verderblichen Regen.
Das Vergnügen, zu Pferd einen Ausflug durch's Land zu machen, erleichterte mir's, mich in die Unternehmung zu schicken. Ich fühlte so recht das Glück, in Freiheit seinen Wünschen zu leben, und fing an, der Sache die freundliche Seite abzugewinnen.
»Was ist übrigens, sagte ich mir, zu riskiren? Mitten in einem merkwürdigen Lande zu reisen! einen berühmten Berg zu erklimmen! im schlimmsten Fall in den erloschenen Krater desselben hinabzusteigen! Offenbar hat Saknussemm nichts anderes gethan. Daß ein verborgener Gang von da in's Centrum des Erdballs führe, pure Einbildung! rein unmöglich! So nehmen wir denn das Gute der Unternehmung hin, ohne zu handeln.«
Unter solchen Gedanken waren wir aus Reykjawik herausgekommen.
Hans ging voran, mit raschem, gleichmäßigem, ausdauerndem Schritt. Hinter ihm die zwei Pferde mit unserm Gepäck, ohne daß man sie zu treiben brauchte. Mein Oheim und ich nahmen uns wirklich nicht übel aus auf unseren kleinen, aber kräftigen Thieren.
Island gehört zu den großen Inseln Europa's. Bei einem Flächeninhalt von vierzehnhundert Quadratmeilen zählt es nur sechzigtausend Bewohner. Die Geographen haben sie in vier Viertel getheilt, und wir mußten quer durch den Theil wandern, welcher Südwest-Viertel, »Sudvestr Fjordungr« heißt.
Hans hatte gleich von Reykjawik aus die Richtung längs des Meeresufers eingeschlagen. Wir ritten über mageres Weideland, das mehr gelb als grün aussah. Die runzeligen Gipfel der trachytischen Massen verwischten sich am Horizont im östlichen Nebel; mitunter sah man Schneestriche, welche das zerstreute Licht concentrirten, dieses schimmernd auf den Abhang fernerer Höhen zurückstrahlen; einzelne kühner empor strebende Spitzen durchbohrten das graue Gewölk und kamen über diesen beweglichen Dunstmassen gleich ragenden Klippen am klaren Himmel wieder zum Vorschein.
Oft liefen diese dürren Felsenketten in einer Spitze dem Meere zu und schnitten in das Weideland ein; aber es blieb dann noch hinreichender Raum für den Weg. Unsere Pferde suchten sich übrigens instinctmäßig die geeigneten Stellen, ohne dabei je langsamer vorwärts zu kommen. Mein Oheim hatte nicht einmal die Befriedigung, sein Reitthier durch Zuruf oder Peitsche anzutreiben; seine Ungeduld konnte sich nicht geltend machen. Ich wußte mich des Lächelns nicht zu enthalten, als ich ihn so groß auf so einem kleinen Pferde sah, daß seine langen Beine auf dem Boden strichen und er wie ein sechsfüßiger Centaur aussah.
»Braves Thier! Braves Thier! sagte er. Du wirst sehen, Axel, daß kein Thier das isländische Pferd an Verstand übertrifft. Schnee, Stürme, schlechte Wege, Felsen, Gletscher, nichts hält es auf; es ist wacker, behutsam, zuverlässig. Nie ein Fehltritt, nie ein Widerstreben. Ist ein Fluß, ein Fjord zu passiren, so stürzt es sich ohne Zaudern gleich einem Amphibium in's Wasser, um an das gegenüberliegende Ufer zu gelangen! Aber man darf es nicht hart anfahren, muß es gewähren lassen, und man wird eins in's andere gerechnet, täglich zehn Meilen mit ihm zurücklegen.
– Wir, allerdings, erwiderte, ich, aber der Führer?
– O! der kümmert mich nicht. Diese Leute kommen voran, ohne es zu merken. Dieser da rührt sich so wenig, daß er gar nicht müde wird. Uebrigens werd' ich nöthigenfalls ihm mein Thier abtreten. Ich würde bald Krämpfe bekommen, wenn ich nicht mehr Bewegung hätte.«
Inzwischen kamen wir raschen Schrittes vorwärts. Das Land war bereits etwas öde. Hier und da ein vereinzelter Pachthof, ein einzeln stehendes Bauernhaus von Holz, Erde, Lavastücken zeigte sich gleich einem Bettler am Rand eines Hohlwegs. Diese verfallenen Hütten sahen aus, als sprächen sie die Barmherzigkeit der Vorübergehenden an, und man fühlte sich versucht, ihnen ein Almosen zu geben. Es fehlte in diesem Land gänzlich an Straßen, selbst an Fußpfaden, und so langsam die Vegetation war, so vertilgte sie doch bald die seltenen Fußtritte der Reisenden.
Und doch gehörte dieser in aller Nähe der Hauptstadt gelegene Theil der Provinz zu den bewohnten und angebauten Strecken der Insel. Wie stand es demnach mit den Gegenden, welche noch öder waren, als diese Oede? Wir hatten erst eine halbe Meile zurückgelegt, und waren noch nicht auf einen Bauer an der Thüre seiner Hütte, noch auf einen wilden Schäfer gestoßen, der eine nicht so wilde Heerde hütete; nur einige sich selbst überlassene Kühe und Hämmel kamen uns zu Gesicht. Wie sollte es erst mit den von vulkanischen Ausbrüchen und Erdbeben heimgesuchten Gegenden stehen?
Wir sollten sie später kennen lernen; aber die Olsen'sche Karte belehrte mich, daß man ihnen auswich, indem man sich an das buchtige Gestade hielt. Die große plutonische Bewegung hatte sich besonders auf das Innere der Insel beschränkt; da finden sich denn auch die horizontal über einander geschichteten Felsen, in skandinavischer Sprache Trapps genannt, die trachytischen Ausbrüche von Basalt, Tuff und allen vulkanischen Conglomeraten, die Ergießungen von Lava und geschmolzenem Porphyr, welche dem Land ein übernatürlich schauderhaftes Aussehen geben. Ich hatte damals noch keine Ahnung von dem Anblick, den wir auf der Halbinsel des Snäfields haben sollten, wo diese Verheerungen einer wilden Natur ein furchtbares Chaos bilden.
Zwei Stunden nach unserer Abreise aus Reykjawik gelangten wir zu dem Flecken Gufunns, genannt »Aoalkirkja«, oder Hauptkirche. Es findet sich da nichts Merkwürdiges; die wenigen Häuser würden in Deutschland kaum einen Weiler bilden.
Hier machte Hans eine halbe Stunde Halt; er theilte unser frugales Frühstück mit uns, antwortete auf die Fragen meines Oheims über die Beschaffenheit des Weges mit Ja und Nein, und als man ihn fragte, wo er zu übernachten gedenke, sagte er nur:
»Gardar.«
Ich sah auf der Karte nach, und fand am Ufer des Hvalfjord, vier Meilen von Reykjawik, einen kleinen Flecken dieses Namens. Als ich ihn meinem Oheim zeigte, sprach er:
»Vier Meilen nur! vier Meilen von zweiundzwanzig! Das ist ein hübscher Spaziergang.«
Er wollte dem Führer eine Bemerkung machen, der gab ihm aber keine Antwort und machte sich an die Spitze seiner Pferde wieder auf den Weg.
Drei Stunden später, indem wir stets den farblosen Rasen des Weidelandes durchzogen, mußten wir um den Kollafjord herum reiten, ein Umweg, der kürzer und leichter war, als eine Fahrt über den Busen. Darauf kamen wir in ein »Pingstaor«, d.h. eine Bezirks-Gerichtsstelle, mit Namen Ejulberg, zur Mittagszeit, als die Glocke zwölf geschlagen haben würde, wenn überhaupt die isländischen Kirchen bemittelt genug wären, um eine Thurmuhr anzukaufen; so wie auch die Pfarrkinder keine Uhren tragen, weil sie keine besitzen.
Hier wurden die Pferde gefüttert; darauf ritten wir auf einem schmalen Uferweg zwischen einer Hügelreihe und dem Meer ununterbrochen weiter bis zu der »Aoalkirkja« Brantär, und eine Meile weiter nach Saurböer, einer Filialkirche, »Annexia«, am südlichen Ufer des Hvalfjord.
Es war vier Uhr Abends, und wir hatten acht Meilen zurückgelegt.
Der Fjord war an dieser Stelle mindestens eine halbe Meile breit; die Meereswellen schlugen tosend wider die scharf gespitzten Felsen; der Golf erweiterte sich zwischen Felswänden, die dreitausend Fuß hoch senkrecht aufstiegen und durch braune Schichten zwischen röthlichen Tufflagern merkwürdig waren. So verständig unsere Pferde sein mochten, so ahnte ich nichts Gutes dabei, wenn wir es unternahmen auf dem Rücken eines Vierfüßlers über einen wirklichen Meeresarm zu setzen.
»Wenn sie verständig sind, sagte ich, so werden sie keinen Versuch machen überzusetzen. Jedenfalls übernehme ich's, an ihrer Statt verständig zu sein.«
Aber mein Oheim wollte nicht warten. Er galopirte dem Ufer zu. Sein Reitthier witterte die Meereswellen und hielt an. Jener aber hatte seinen eigenen Instinct, und setzte ihm noch mehr zu. Das Pferd schüttelte den Kopf und weigerte sich abermals. Nun fluchte und peitschte er, aber das Thier schlug hinten aus und machte Miene seinen Reiter abzuwerfen. Schließlich beugte es seine Kniekehlen und schlüpfte unter den langen Beinen des Professors weg, so daß er aufrecht auf zwei Felsstücken stehen blieb, wie der Koloß auf Rhodus.
»Du verdammtes Thier! rief der Reiter, als er sich plötzlich zu Fuß sah, und schämte sich wie ein Reiterofficier, der zum Infanteristen gemacht werden soll.
– Farja, sagte der Führer, und klopfte ihm auf die Schulter.
– Wie? eine Fähre.
– Dort, erwiderte Hans und deutete auf ein Fahrzeug.
– Ja wohl, rief ich, da ist eine Fähre.
– Das hätte man sagen sollen! Nun, weiter!
– Tidvatten, fuhr der Führer fort.
– Was sagt er?
– Er meint die Ebbe, übersetzte mein Oheim das dänische Wort.
– Allerdings, wir müssen die Ebbe abwarten.
– Forbida? fragte jener.
– Ja.«
Mein Oheim stampfte mit dem Fuß, während die Pferde auf die Fähre zu gingen.
Es war mir wohl begreiflich, daß man, um überzusetzen, noch eine Weile warten müsse, bis das Wasser auf seinem Höhestand weder steigt noch fällt, weil dann die Strömung in keiner Richtung wirksam ist, so daß die Fähre nicht Gefahr läuft fortgerissen zu werden.
Dieser günstige Zeitpunkt trat erst um sechs Uhr Abends ein; mein Oheim, ich, der Führer, zwei Fährmänner und die vier Pferde hatten bereits in der etwas gebrechlichen flachen Barke Platz genommen. Da ich an die Dampffähren der Elbe gewöhnt war, so kamen mir die Ruder der Schiffer als ein armseliger Behelf vor. Wir brauchten über eine Stunde Zeit, um über den Fjord zu setzen; aber endlich kamen wir doch glücklich hinüber.
Nach einer halben Stunde erreichten wir Gardar.
In der Diskussion zum letzetn Kapitel ging es viel um die Funktion von Listen in der Literatur und die spannende Frage, warum der Professor eigentlich soviel Gold-, Silber- und Papiergeld einpackt – ich hoffe, dass er es noch gebrauchen wird.
Ich kann bei diesem Kapitel nicht aufhören über das “Snäfieldsnäß” aus der Überschrift zu lachen. Wir befinden uns jetzt also – geführt von Hans – auf dem Weg nach Snæfellsnes. Axel fühlt sich auf den kleinen Pferden wohl und bewundert das Vulkangestein in den “trachytischen Massen.“
Trachyt ist ein Vulkangestein und wenn man auf Island lebt, lernt man zwangsläufig ein wenig Geologie. das meiste Gestein auf Island – über 90% – ist Basalt, nur 6 bis 10% sind Silikate und der Rest ist intermediäres Gestein, unter anderem Andesit, was auch Icelandite heißt und eine wichtige Rolle in den Naturwissenschaften gespielt hat. (Hier kann man mehr zu Steinen in Island nachlesen).
Ich stimme der Lobhymne des Professors auf Islandpferde übrigens zu, sie sind die besten, klügsten und lustigsten Tiere. “Du wirst sehen, Axel, daß kein Thier das isländische Pferd an Verstand übertrifft.” Es gibt in diesen Absätzen auch einige der typischen paternalistischen Passagen, die wir bereits kennen, über die Rückständigkeit isländischer Gebäude. Außerdem denkt Axel über die Menschenleere der Insel statt, die tatsächlich beeindruckend und sicherlich ein Grund dafür ist, dass Island so sehr von Touristen geliebt wird. Besonders das Hochland, das mit Verweis auf die Karte als unbewohntes Gebiet zitiert wird, ist extrem faszinierend: “…da finden sich denn auch die horizontal über einander geschichteten Felsen, in skandinavischer Sprache Trapps genannt, die trachytischen Ausbrüche von Basalt, Tuff und allen vulkanischen Conglomeraten, die Ergießungen von Lava und geschmolzenem Porphyr, welche dem Land ein übernatürlich schauderhaftes Aussehen geben.”
Mit dem besuchten “Gufunns” ist sicherlich Gufunes gemeint, eine Halbinsel, die mittlerweile fest zum erweiterten Hauptstadtgebiet gehört. Überhaupt kann man, wenn man die lokalen Namen ableitet ziemlich genau nachverfolgen welchen Weg nimmt, wenn auch die Landschaftsschilderungen teilweise ein wenig irreführend sind. Vielleicht habt ihr Lust zu schauen, welche Namen ihr verknüpfen könnt:
Mit dem Garðar was am Ende nach schwieriger überfahrt erreicht wird, ist Akranes gemeint. Der Ford in den der Professor hineinreiten will, ist wohl der 5 Kilometer breite Hvalfjörður, der im Schnitt 80 Meter tief ist – gottseidank haben sich die Pferde nicht hineinreiten lassen. Garðar wird tatsächlich schon im mittelalterlichen Landnahmebuch aufgeführt und nun wird es der ersten Zwischenstopp für unsere Reisenden. In einer alten Fotografie sah es dort aus wie auf der folgenden Fotografie, vielleicht kann man sich so eine bessere Vorstellung machen, wo übernachtet wird:
[Quelle]
In der Bildbeschreibung in der Dartenbankt steht, dass man im Hintergrund den Berg Akrafjall und das Haus Garðar sehen kann und das erste Haus aus Stein, das in der Region in den Jahren 1876–82 gebaut wurde. Ich finde das eine ganz interessante Quelle, weil man daraus gut erkennen kann, wie arm Island an Baumaterial war und wie ausgesprochen unbesiedelt.
Dieser Newsletter ist eine Herzensangelegenheit und wird deswegen für die gesamte Dauer des gemeinsamen Reisens selbstverständlich umsonst bleiben, damit wirklich alle Interessierten dabei sein können. Hier kann man mir jedoch ein Haus aus Stein spendieren.
Ooohh endlich Islandpferde 💞 ich stimme auch zu, sie sind die Besten 🥰
Nachdem Vernes Figurenzeichnung mir wieder etwas sehr flach erschien, nochmals ein Blick in die Landschaft - und das kurze Stück gerade beim Ausreiten von Reykjawik ist wieder erstaunlich gut :
>>Nous traversions de maigres pâturages qui se donnaient bien du mal pour être verts ; le jaune réussissait mieux. Les sommets rugueux des masses trachytiques s’estompaient à l’horizon dans les brumes de l’est ; par moments, quelques plaques de neige, concentrant la lumière diffuse, resplendissaient sur le versant des cimes éloignées ; certains pics, plus hardiment dressés, trouaient les nuages gris et réapparaissaient au-dessus des vapeurs mouvantes, semblables à des écueils émergés en plein ciel.
Souvent ces chaînes de rocs arides faisaient une pointe vers la mer et mordaient sur le pâturage ; mais il restait toujours une place suffisante pour passer.<<
Wieder ist Dynamik in dem Text - hier wohl motiviert von der Sequenz von visueller Wahrnehmung: der Blick geht immer höher in den offenen Himmel hinein. Wie beim Blick während der _lecons d'abîme_ übers weiter Meer vom Kirchturm in Kopenhagen, wird ein Eindruck von großer Weite hergestellt. Sonst erscheint hier und später in dem kurzen geologischen Abschnitt : >> En effet, le grand mouvement plutonique ...<< die Haltung eher die eines Sachtextes in einer Reisebeschreibung, wo das beobachtende Subjekt weitgehend zurücktritt und nur eine Darstellung geographischer Tatsachen intendiert ist. Aber die geologischen Fachbegriffe wie trachytisch teilen dem Text eine gewisse hermetische Qualtät mit. Der Begriff ist esoterisch und ist dem gemeinen Leser sicher ungeläufig, obwohl sie gleichzeitig die Realität dieser Reise als Expedition von wissenschaftlich, d.h. geologisch beschlagenen Leuten bekräftigt. Das erscheint mir recht neuartig, wenn man es mit Landschaften in romantischen Erzähltexten vergleicht.